Beitrag veröffentlicht am 27.10.2020 | Dr. Ahlborn

Massenentlassung – so wehren Sie sich

Gerade in Krisenzeiten – wie der aktuellen Corona-Pandemie – kommt es immer wieder zu Massenentlassungen. Dies löst bei den betroffenen Arbeitnehmern oft Panik aus. Allerdings haben sie vor Gericht häufig gute Chancen.

Was Sie zu Massenentlassungen wissen müssen und wie Sie sich wehren, erfahren Sie in diesem Beitrag.

  1. Wann spricht man von einer Massenentlassung?
  2. Wie sind Arbeitnehmer vor einer Massenentlassung geschützt?
  3. Wie muss der Betriebsrat beteiligt werden?
    a. Unterrichtung
    b. Beratung
    c. Anhörung
  4. Ohne Massenentlassungsanzeige keine rechtmäßige Kündigung
  5. Wie stehen die Chancen bei einer Klage gegen eine Massenentlassung?
  6. Fazit

Wann spricht man von einer Massenentlassung?

Eine „Massenentlassung“ zeichnet sich dadurch aus, dass eine hohe Anzahl von Arbeitnehmern in einem kurzen Zeitraum entlassen wird. Gesetzlich geregelt ist der Begriff der Massenentlassung in § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Bei der Bestimmung, ob es sich um eine Massenentlassung oder nur um einfache Entlassungen handelt, sind einige Dinge zu beachten:

Nicht als Entlassung zählen aber das Auslaufen von befristeten Verträgen, außerordentliche Kündigungen sowie Aufhebungsverträge/ Eigenkündigungen der Arbeitnehmer aus eigenem Antrieb.

Masse: Wie das Wort „Masse“ bereits vermuten lässt, muss eine Vielzahl von Arbeitnehmern entlassen werden. Die genauen Werte sind nach Betriebsgröße gestaffelt:

Zeitraum: Die betreffenden Entlassungen müssen innerhalb von 30 Tagen erfolgen. Bei einer Massenentlassung werden daher nicht unbedingt alle betroffenen Arbeitnehmer am selben Tag entlassen. 

Beispiel: Im Betrieb des A arbeiten 550 Arbeitnehmer. Am 01.10. entlässt er fünf, am 25.10. fünf und am 29.10. nochmals 25 Arbeitnehmer. Auch wenn die Entlassungen an verschiedenen Tagen erfolgen, liegt doch eine Massenentlassung vor. Denn der Grenzwert (>30 Entlassungen in 30 Tagen) wurde überschritten.

Wie sind Arbeitnehmer vor einer Massenentlassung geschützt?

Die Voraussetzungen einer Massenentlassung sind strenger als bei einer gewöhnlichen Kündigung. Dies betrifft insbesondere die Beteiligung des Betriebsrats und die Anzeigepflicht bei der Bundesagentur für Arbeit. Mehr hierzu erläutern wir Ihnen in den nächsten Abschnitten.

Daneben kann sich jeder Arbeitnehmer weiterhin auf seinen individuellen Kündigungsschutz berufen. Besonders wichtig: Für jede einzelne Kündigung muss der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund haben. Bei krisenbedingten Massenentlassungen sind die Gründe meist betriebsbezogen. Eine Kündigung ohne Kündigungsgrund ist auch bei der Massenentlassung nicht möglich. Der Arbeitgeber muss auch eventuell bestehenden Sonderkündigungsschutz (z.B. für schwangere und schwerbehinderte Arbeitnehmer) weiterhin beachten.

Zuletzt muss die Kündigung wie immer schriftlich erfolgen. 

Wie muss der Betriebsrat beteiligt werden?

Dem Betriebsrat kommt bei der Massenentlassung eine besonders wichtige Rolle zu. Er soll die Interessen der Arbeitnehmer vertreten und darf daher vom Arbeitgeber nicht übergangen werden. 

Unterrichtung

Im Falle einer geplanten Massenentlassung hat der Arbeitgeber die Pflicht, den Betriebsrat von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen. Er muss dem Betriebsrat daher schriftlich mitteilen, wie genau er bei der Massenentlassung vorgehen will. Laut § 17 Abs. 2 KSchG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat unter anderem über folgende Punkte informieren:

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat auch nicht nur irgendwann, sondern rechtzeitig benachrichtigen. Das Gesetz definiert nicht, was „rechtzeitig“ bedeutet. Als äußerstes Minimum sind grundsätzlich zwei Wochen zu sehen.

Wichtig: Der Arbeitgeber darf die Arbeitnehmer nicht bereits entlassen und erst dann den Betriebsrat kontaktieren. Die Benachrichtigung des Betriebsrats muss immer als Erstes erfolgen.

Beratung

Über die bloße Benachrichtigung des Betriebsrats hinaus muss der Arbeitgeber auch mit diesem über die Massenentlassung verhandeln. Wenn diese Gespräche unterbleiben, ist die Massenentlassung unwirksam. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen sich dabei um Kompromisse bemühen. Es ist aber nicht erforderlich, dass sie für eine vorgegebene Dauer verhandeln oder zu einer Übereinkunft kommen. Die Gespräche an sich reichen aus. 

Massenentlassungen erfolgen oft im Rahmen von Umstrukturierungen im Betrieb. In einem solchen Fall müssen Arbeitgeber und Betriebsrat ohnehin gemäß § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gemeinsam darüber reden, ob die Massenentlassung wirklich in dem geplanten Ausmaß nötig ist. Im Rahmen des sogenannten Interessenausgleichs geht es darum, ob, wann und wie die Umstrukturierung erfolgen soll. 

Beispiel: Der Arbeitgeber will zwei Abteilungen zusammenlegen und dabei mehrere Arbeitnehmer entlassen. Er muss mit dem Betriebsrat darüber verhandeln, wie viele Arbeitsplätze gestrichen und wann diese Maßnahmen vorgenommen werden sollen. Unterlässt er das, sind die Entlassungen unwirksam.

Zudem kann der Betriebsrat versuchen, die finanziellen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer zu mildern. Das geschieht im sog. Sozialplan, der meist gleichzeitig mit dem Interessenausgleich verhandelt wird. Im Rahmen dessen kann der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber Maßnahmen vereinbaren, um den Arbeitnehmern unter die Arme zu greifen. Abfindungen und Transfergesellschaften können hierbei besonders helfen:

Anhörung

Wie immer gilt: Der Betriebsrat muss zu jeder einzelnen Kündigung angehört werden (§ 102 BetrVG). Ansonsten ist die Kündigung ohne Weiteres angreifbar. 

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat also nicht nur über die Massenentlassung informieren und mit diesem verhandeln, sondern den Betriebsrat auch zu jeder einzelnen Kündigung gesondert anhören. Der Arbeitgeber sollte hier sehr präzise sein: Er muss klar zwischen den einzelnen Schritten (Unterrichtung, Beratung und Anhörung) trennen. Das gilt auch, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat über alles bei einem einzigen Treffen sprechen. Es ist die Aufgabe des Arbeitgebers, deutlich zu machen, wann von einer Phase zur nächsten übergegangen werden soll. Gelingt ihm dies nicht, fehlt es an den jeweiligen Anhörungen und alle Kündigungen sind rechtswidrig (siehe LAG Hamm, Urteil vom 22.01.2020, 3 Sa 1194/19)! 

Ohne Massenentlassungs­anzeige keine rechtmäßige Kündigung

Wenn in kurzer Zeit viele Menschen ihre Arbeit verlieren, hat dies Auswirkungen auf den (lokalen) Arbeitsmarkt. Daher muss der Arbeitgeber der Bundesagentur für Arbeit im Voraus schriftlich mitteilen, dass er eine Massenentlassung plant. Diese Anzeige muss mindestens folgende Angaben enthalten:

Zusätzlich sollen anonymisierte Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer in Abstimmung mit dem Betriebsrat ergänzt werden. Dies geschieht auf freiwilliger Basis, um die Arbeitnehmer später besser bei der Stellensuche unterstützen zu können.

Darüber hinaus muss der Arbeitgeber eine schriftliche Stellungnahme des Betriebsrats sowie seine ursprüngliche Mitteilung an diesen beifügen. Liegt keine Stellungnahme vor, kann der Arbeitgeber stattdessen darlegen, den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor den geplanten Entlassungen unterrichtet zu haben.

Wenn der Arbeitgeber die Massenentlassung nicht oder nicht ordnungsgemäß anzeigt, ist diese unwirksam! Er kann die Anzeige auch nicht später nachholen. Nach dem Eingang der Anzeige hat der Arbeitgeber eine Frist von 90 Tagen, um die Kündigungen durchzuführen. Wenn er diese Frist nicht einhält, muss er eventuell erneut eine Anzeige einreichen.

Zudem löst die Anzeige eine einmonatige Sperrfrist aus, die die Agentur für Arbeit im Ausnahmefall auch auf zwei Monate ausdehnen kann. Das bedeutet, dass die Kündigungen frühestens einen Monat nach der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden. Im Einzelfall kann die Agentur für Arbeit auch einer früheren Entlassung zustimmen.

Wie stehen die Chancen bei einer Klage gegen eine Massenentlassung?

Wie Sie sehen, sind die Voraussetzungen für eine Massenentlassung sehr streng. Hinzu kommen die üblichen hohen Anforderungen an eine Kündigung. Schnell kann der Arbeitgeber einen Fehler machen, der zur Unwirksamkeit der Entlassung führt. Selbst kleine Fehler reichen hier. Im Einzelnen können dies insbesondere sein:

Klagen der Arbeitnehmer sind bei einer Massenentlassung häufig erfolgreich. Eine Kündigung sollte daher stets von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht geprüft werden. So kann der Arbeitsplatz gerettet oder zumindest eine Abfindung erstritten werden. Besonders groß sind die Erfolgsaussichten, wenn sich mehrere Arbeitnehmer zusammenschließen und so den Arbeitgeber unter Druck setzen.

Aber Achtung: Wie bei jeder Kündigung muss der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gegen diese klagen! Sonst wird die Kündigung automatisch wirksam, auch wenn sie eigentlich vor Gericht keinen Bestand gehabt hätte. Erhält ein Arbeitnehmer seine Kündigung, ist daher Eile geboten.

Fazit

Bei Fragen rund um das Thema Kündigung wenden Sie sich an Rechtsanwalt Dr. Ahlborn in Bielefeld (Schildesche), der Sie als erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht kompetent berät.


Autor dieses Beitrags: Dr. Ahlborn

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ahlborn ist langjährig im Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht tätig.
Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht.

Weitere Artikel zum Thema "Allgemein":

Kündigung wegen Outsourcing – Ihre Chance gegen die Kündigung
Krankschreiben nach der Kündigung – Wie beweisfest ist eine Krankschreibung?
Die personenbedingte Kündigung
Nach langer Krankheit: Wiedereingliederung und BEM
Wettbewerbsverbot im Arbeitsrecht – was bedeutet das?
Westerfeldstr. 1-3
33611 Bielefeld