Beitrag veröffentlicht am 21.11.2023 | Dr. Ahlborn

Nach langer Krankheit: Wiedereingliederung und BEM

Ihr Arbeitgeber schlägt Ihnen vor, an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement oder einer Wiedereingliederung teilzunehmen? Was das für Sie bedeutet und was passiert, wenn Sie ablehnen, erfahren Sie in diesem Beitrag. 

  1. Was ist das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)?
  2. Wer nimmt am BEM teil?
  3. Was ist die Wiedereingliederung? 
  4. Wie läuft die Wiedereingliederung ab? 
  5. Kann ich die Wiedereingliederung ablehnen? 
  6. Kann der Arbeitgeber während der Wiedereingliederung kündigen? 
  7. Welche Besonderheiten gelten für Schwerbehinderte? 
  8. Wie funktioniert die Wiedereingliederung bei Teilzeit? 
  9. Fazit 

Was ist das betriebliche Eingliederungsmanagement? 

Sind Sie als Arbeitnehmer länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt krank, muss Ihr Arbeitgeber Ihnen ein BEM anbieten. Gemeinsam mit dem Betroffenen werden – meist im Rahmen eines sog. BEM-Gespräches – alle möglichen Optionen in Betracht gezogen, um einen erneuten krankheitsbedingten Ausfall zu verhindern. Nicht selten resultiert daraus die Vereinbarung einer stufenweisen Wiedereingliederung. Andere denkbare Maßnahmen sind: 

Beispiel: Sie sind den Dezember 2022 und den Januar 2023 arbeitsunfähig. Da Sie im letzten Jahr nun mehr als sechs Wochen krankgeschrieben sind, lädt Ihr Arbeitgeber Sie zu einem BEM-Gespräch ein. Innerhalb des Gespräches berichten Sie, dass es Ihnen stetig besser geht. Ihr Arbeitgeber schlägt Ihnen vor, mit Ihrem Arzt über eine Wiedereingliederung zu sprechen. 

Sie können selbst bestimmen, ob Sie am betrieblichen Eingliederungsmanagement teilnehmen. Wenn Sie sich dagegen entscheiden, ist Ihre Ausgangslage im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung unter Umständen verschlechtert. 

Wer nimmt am BEM teil? 

In jedem Fall beteiligt sind Sie als Arbeitnehmer (wenn Sie zusagen) und der Arbeitgeber:  Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer auf das BEM ansprechen. Stimmen Sie der Durchführung zu, können mit Ihrer Zustimmung auch externe Stellen, wie z.B. Fachkräfte des Integrationsamtes oder der Rehabilitationsträger (Krankenkassen, Rentenversicherungen…) beteiligt sein, um Schritte zu erarbeiten oder ggf. einen Beitrag abzustimmen. Darüber hinaus kann noch der Betriebs- oder Werkarzt sowie eine Fachkraft für Arbeitssicherheit zu Rate gezogen werden. 

Was ist die Wiedereingliederung?  

Oft einigt man sich im betrieblichen Eingliederungsmanagement, dass Ihre Wiedereingliederung stattfinden soll. Die stufenweise Wiedereingliederung (oder auch “Hamburger-Modell”) ist ein Prozess, der den Arbeitnehmer nach langem krankheitsbedingten Ausfall schonend an den Arbeitsplatz zurückführen soll. Schritt für Schritt kann der Arbeitnehmer die Arbeitszeit steigern und wieder Aufgaben übernehmen, die seinem gesundheitlichen Zustand entsprechen. 

Wie läuft eine Wiedereingliederung ab?

Die Wiedereingliederung begründet ein eigenes Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in dem der Arbeitnehmer den Status “arbeitsunfähig” beibehält. In dieser Zeit erhalten Sie keinen Lohn von Ihrem Arbeitgeber, sondern in der Regel Krankengeld von der Krankenkasse. Rechtlich gesehen „pausiert“ Ihr Arbeitsverhältnis während der Wiedereingliederung infolge der Arbeitsunfähigkeit. 

Eine stufenweise Wiedereingliederung kommt in Betracht, sofern Sie als Arbeitnehmer trotz Krankheit wieder einige Tätigkeiten Ihres Berufes ausführen können. Dafür stellt in der Regel der behandelnde Arzt eine “Teilarbeitsfähigkeit” aus. 

In Absprache mit Ihrem Arzt und ggf. Ihrer Krankenkasse wird vor Beginn der Wiedereingliederung ein Wiedereingliederungsplan erstellt, dem alle Beteiligten zustimmen müssen. Man spricht von einem Stufenplan, der sich meist auf einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen und maximal sechs Monate bezieht. Darin sollten folgende Punkte geklärt werden: 

Während der Wiedereingliederung wird die Arbeitsleistung entsprechend der Stufen gesteigert und endet normalerweise wie vereinbart. 

Übrigens: Zwar folgt das Hamburger-Modell nicht dem Motto: “Arbeit gegen Entgelt”. Sie sollen ja gerade nicht die volle Arbeitsleistung erbringen. Soweit Sie aber gesundheitlich dazu in der Lage sind, müssen Sie Weisungen des Arbeitgebers befolgen. 

Beispiel: Eine Bürokauffrau reitet in ihrer Freizeit, stürzt vom Pferd und zieht sich ein Schädel-Hirn-Trauma zu. Infolgedessen leidet sie bei längerer Arbeit am Computer unter starken Kopfschmerzen. Ihr Arzt prognostiziert, dass die Schmerzen erst nach zwei Stunden auftreten und sukzessive immer später eintreten. Zusammen mit Ihrem Arzt entwickelt die Bürokauffrau einen Plan, der sich auf sechs Wochen erstreckt und vorsieht, dass die Arbeitszeit jede Woche um eine Stunde gesteigert wird. Der Arbeitgeber stimmt zu. 

Kann ich die Wiedereingliederung ablehnen?

Die Wiedereingliederung unterliegt grundsätzlich dem Prinzip der Freiwilligkeit. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer können der Wiedereingliederung grundsätzlich zustimmen oder diese ablehnen.

Achtung: Dies gilt allerdings nur, solange Sie arbeitsunfähig sind. Sind Sie wieder arbeitsfähig, müssen Sie Ihren Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis wieder nachkommen. Sofern mit Ihrem Arbeitsvertrag vereinbar, kann es sein, dass Sie nach einer langen Krankheit zunächst einmal andere Aufgaben als davor bekommen. 

Die Freiwilligkeit gilt auch für den Wiedereingliederungsplan – Sie können zustimmen, müssen aber nicht. Ggf. können Sie auch andere Bedingungen aushandeln. 

Haben Sie einmal mit einer Wiedereingliederung begonnen, müssen Sie sich grundsätzlich auch an die Vereinbarung halten und entsprechend dem Stufenplan arbeiten. Sie können die Wiedereingliederung allerdings jederzeit durch eine einfache Erklärung kündigen. Anforderungen, wie an die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, gelten nicht. Nochmals sei erwähnt, dass Ihr Arbeitsverhältnis vom Wiedereingliederungsverhältnis unabhängig ist. Wenn Sie letzteres also aufgeben, verlieren Sie nicht automatisch Ihre Stelle. Unter Umständen provozieren Sie aber eine Kündigung (dazu sogleich). 

Kann der Arbeitgeber während der Wiedereingliederung kündigen? 

Grundsätzlich kann Ihr Arbeitgeber Ihr Arbeitsverhältnis (!) auch während der Eingliederung nach den üblichen Vorschriften ordnungsgemäß kündigen. Im Zusammenhang mit einer stufenweisen Wiedereingliederung liegt eine krankheitsbedingte Kündigung nahe. Dafür müssen die folgenden strengen Voraussetzungen gegeben sein:

Weniger strenge Maßstäbe gelten unter anderem für Kleinbetriebe mit zehn oder weniger Mitarbeitern und in den ersten 6 Monaten einer Beschäftigung. 

In jedem Fall empfehlen wir die Prüfung einer krankheitsbedingten Kündigung! Ab Zugang des Kündigungsschreibens bleiben Ihnen allerdings nur drei Wochen Zeit, um gegen die Kündigung zu klagen

In seltenen Fällen kommt auch eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht. Dabei ist zu beachten, dass das sog. Wiedereingliederungsverhältnis unabhängig von Ihrem Arbeitsverhältnis steht: Ihr Verhalten darf nur als außerbetriebliches Verhalten betrachtet werden. Daher muss Ihr Arbeitgeber ähnliche Maßstäbe anwenden wie bei Fehlverhalten in der Freizeit. Das erschwert ihm die verhaltensbedingte Kündigung während der Wiedereingliederung. 

Achtung: Zwar ist die Ablehnung einer Wiedereingliederung kein Kündigungsgrund, allerdings sollten Sie beachten, dass Sie ohne Wiedereingliederung schlechter wieder einsetzbar sind. Ggf. ist eine krankheitsbedingte Kündigung dann eher gerechtfertigt. 

Welche Besonderheiten gelten für Schwerbehinderte? 

Für schwerbehinderte Arbeitnehmer gelten folgende Besonderheiten: 

Wie funktioniert die Wiedereingliederung bei Teilzeit? 

Eine Wiedereingliederung ist nicht gleichzusetzen mit einer Teilzeitstelle. Eine Teilzeitstelle soll gerade dauerhaft nicht einer ganzen Stelle entsprechen. 

Allerdings kommt auch bei einer Teilzeitstelle eine Wiedereingliederung in Betracht. Entsprechend der geringeren Arbeitszeit bei normaler Anstellung wählt man eine geringere Abstufung des zeitlichen Arbeitsumfanges. 

Fazit

Bei Fragen rund um das Thema Wiedereingliederung und Kündigung wenden Sie sich an Rechtsanwalt Dr. Ahlborn in Bielefeld (Schildesche), der Sie als erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht kompetent berät.


Autor dieses Beitrags: Dr. Ahlborn

Rechtsanwalt und Notar Dr. Ahlborn ist langjährig im Arbeitsrecht und Wirtschaftsrecht tätig.
Er ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht.

Weitere Artikel zum Thema "Allgemein":

Verdachtskündigung vom Arbeitgeber
Interessenausgleich – wozu führt er bei Stellenabbau und Co.?
Haftung des Arbeitnehmers
Freistellung nach Kündigung
Kündigung wegen Outsourcing – Ihre Chance gegen die Kündigung
Westerfeldstr. 1-3
33611 Bielefeld